Was nicht in die Masse dringt, ist unwirksam.
Karl Jaspers (†)
Psychiater und Philosoph
Thema
·
August 29, 2019

Analoges vs. Digitales Lesen

Lesen gehört zu den Grundkompetenzen, über die ein Mensch heute verfügen sollte. Durch die Zunahme digitaler Medien wird nicht, wie so oft angenommen, weniger gelesen. Vielmehr muss die Fülle täglich neuer Informationen aufgenommen, selektiert und ggf. vertieft oder verworfen werden. Das geschieht durch Lesen. Doch macht es einen Unterschied, ob wir analog in Büchern oder digital an smarten Geräten lesen?

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Unterschiede sind durchaus erkennbar, wenn auch nicht auf allen Ebenen und manchmal nur mit minimaler Abweichung. Die Forschung auf diesem Gebiet nimmt mehr und mehr an Fahrt auf. Leseforscher wollen auf die Zukunft vorbereiten, denn sie gehen davon aus, dass digitale Inhalte noch stärker in den Vordergrund treten werden. Denn die Technik schreitet in Siebenmeilenstiefeln voran. Frühere Bedenken etwa, dass das Lesen am Bildschirm schlecht für die Augen sei, sind heute fast ausgeräumt. Die Bildschirmtechnik in Computern, Laptops, Tablets und Smartphones stellt mittlerweile keine Bedrohung mehr für das menschliche Auge dar.

Während für das Lesen ein und desselben Textes in analoger und digitaler Form noch keine wissenschaftliche Studie zu den Unterschieden vorliegen, können Abweichungen auf inhaltlicher Ebene belegt werden. So konnte gezeigt werden, dass beim Lesen von Belletristik oder Romanen keine besonderen Unterschiede im Leseverhalten zwischen analog und digital auftreten. Anders sieht es bei Informationstexten und Fachliteratur aus, insbesondere was das Aufnehmen von Informationen angeht. In analogen Medien scheint dies einfacher möglich zu sein, vielleicht bedingt durch die zusätzliche Stimulation des Tast- und Geruchssinns. Zudem erinnern wir Inhalte aus gedruckten Büchern besser als aus digitalen.  

Emotionales Lesen

Auf emotionaler Ebene beschreiben die Psychologen zwei Arten von Menschen: diejenigen mit einer großen Nähe zu Papier, sprich einer hohen emotionalen Bindung zu dessen Beschaffenheit und Geruch. Auf der anderen Seite diejenigen mit einer geringen oder fehlenden emotionalen Bindung zu Papier. Entsprechend der Intensität dieser Bindung wird auch das Lesen an digitalen Bildschirmen empfunden. Menschen mit weniger Bezug zu Papier, dessen Haptik und Geruch steigen schneller auf das digitale Lesen um.

Im Bereich der haptischen und visuellen Wahrnehmung während des Lesens haben Wissenschaftler weitere Befunde aufgestellt: Während sich die Augenbewegungen beim Lesen digitaler und analoger Texte nicht wesentlich unterscheiden, ist das Gehirn besonders wachsam. Nämlich dann, wenn es um das Erleben von Fortschritt während des Lesens geht. Aus psychologischer Sicht ist es so, dass jedes Mal, wenn eine Seite im analogen Buch umgeblättert wird, dem Gehirn ein Vorankommen signalisiert wird. Ab der Mitte des Buches nehmen Seh- und Tastsinn bewusst oder unbewusst wahr, wie die rechte Seite des Buches mit den noch zu lesenden Seiten kontinuierlich abnimmt. Ein Erfolgserlebnis für das Gehirn!

Schon früh mit der Lust auf Lesen beginnen

Und noch etwas nimmt unser Gehirn unterschiedlich wahr: Der Bücherstapel neben ihrem Bett animiert sie ständig dazu, mal wieder zum Buch zu greifen - räumlich und real - während ihr E-Book oder Tablet keinerlei sichtbare Auskunft darüber gibt, wie viele Bücher sich in ihrer Bibliothek befinden. Die Hirnforscherin Maryanne Wolf schlägt vor, schon sehr früh eine Bibliothek für die eigenen Kinder anzulegen, um ihnen die Lust am Selberlesen aber auch am Zuhören mitzugeben.

Kinder sind sehr empfänglich für gedruckte Bücher mit all ihren bunten Illustrationen und haptischen wie olfaktorischen Erfahrungen. Erlebnisse, die beim digitalen Lesen leider auf der Strecke bleiben.

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